Mittwoch, 13. August 2008

Täter, Opfer, Biedermeier

Nicht dass ich Sie in den letzten Tagen,
verehrtester Theaterdirektor Buurmann,
vergessen hätte...

... nein, ich bin Ihnen als meinem Widerpart und da Sie oft genug diese zweite Seele in meiner Brust sind (die Faust lieber nicht kennenlernen wollte) ständig zugeneigt, es ist also lediglich die Frage, wann diese meine Zuneigung Ausdruck findet. Dieser Ausdruck aber nun (damit Sie, aufgrund meines gerade abgelegten Geständnisses hinsichtlich der Zuneigung und Alterität, die Sie mir tatsächlich bedeuten, den Mund wieder zubekommen), dieser Ausdruck nun als eine schriftliche Einlassung meinerseits auf Ihr Walten und Schalten und die verzweifelten Bemühungen, dieses Tun zu rechtfertigen, dieser Ausdruck also meines Einlassens auf Ihr Werk(eln) begnügt sich nicht in apologetischem Beifallsgeklatsche – was Ihnen, so weit kenne ich Sie ja jetzt gut genug, sicherlich viel lieber wäre: sich sonnen im Applaus von Verehrern und Groupies, die ihre Hingabe zum Nachteil ihres Verstandes vergessen, verloren oder aufgegeben haben. Nein, meine Zuneigung, mein Einlassen, Theaterdirektor Buurmann, ist in seinem Ausdruck immer die oder das des Freundes, des Mentors, in der Absicht, zu verbessern, zu helfen, zu bereichern.

Nun müssen wir uns also der Hermeneutik annehmen, um im Sinne des seligen Aristotelis die Begriffsverwirrrung zuungunsten einer allgemeinen Kommunikation nicht weiterhin walten zu lassen. Ich, werfen Sie, Theaterdirektor Buurmann, mir also vor, flüchte in die Hermeneutik, wenn ich Ihnen das Wort Täter als im Sinne unseres heutigen Verständnisses falsch benutzten Begriff vorwerfe, als ein Bezeichnendes, das sich Ihren Implikationen nicht beugen will. Theaterdirektor Buurmann: Nein, nicht der Hermeneutiker erhebt hier Einspruch, ich wollte Ihnen keinen Text interpretieren oder Sie in die Lehre der Exegese einführen, lediglich den Bedeutungswandel des Wortes Täter wollte ich Ihnen deutlich machen und fühlte mich so in der Position des Linguisten. Sie aber beharren auf „Hermeneutiker“, wenn Sie mir, mit der mir unterstellten Hetze und in mir einen Hetzer im Sinne eines beleidigenden und diffamierenden sprachlichen Akts sehend, einen reinzuwürgen gedachten und mich gegen einen Flaneur (vs. Hetzer) auszuspielen suchend. Durch Ihre Begriffsverwirrungen nun flanierend – und darüber hinaus dem Flanieren überhaupt zugeneigt: den Blumen am Wegesrand also! Eine schöne Metapher!, ja, Buurmann, Sie kennen ja doch meine Leidenschaften!) –, Ihre Begriffe also in Muße ordnend, muss ich Ihnen sagen, dass dergleichen anhängende Bedeutungen nicht statisch sind, dass Bedeutungen sich also verändern: im pejorativen Sinne wurde die Dirne so zur Nutte, und im Gegenzug kann heute jedes Mädchen etwas geil finden ohne dass Eltern oder das Jugendamt sich genötigt fühlen müssen, einzuschreiten. Für diesen Bedeutungswandel braucht es nun aber auch keine basisdemokratische Abstimmung, wie Sie sie wähnen, es braucht kein „Treffen zwischen den Sprach-Göttern und den Menschen (…), an dem die diese Interpretation für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt wurde“. Theaterdirektor Buurmann: Sprache verändert sich, Neues schleicht sich ein, wird benutzt, übernommen und ist irgendwann einmal das signifikant Gebräuchliche – so ist das mit dem Täter, der nach dem Volksmund immer der Gärtner ist und der ist meines Wissens nach immer der Mörder, also ergibt sich logisch: Täter = Mörder, im Namen von vox populi, die sich nie getroffen haben.

Sie, Theaterdirektor Buurmann, wollen das für ihre Freiheit kämpfende Volk der Juden zu Tätern machen, und ja, ich bin einverstanden mit all Ihren Ausführungen, ich bin mit Ihnen Semit, Zionist und Ihr Schüler in diesem historisch-politischen Diskurs, ich bin ganz auf Ihrer Seite: wenn Sie die von Ihnen benutzten Begriffe in Sinne Ihres Verständnisses, sollte sich dieses mit dem üblichen auch nicht decken, zuförderst nämlich klären und in Ihrem Sinne explizieren. Wenn Sie mir also erklären, dass ein Täter für Sie nicht das ist, was die Masse darunter versteht, dann kann ich Ihnen folgen, Sie können dann sogar einen Tisch einen Stuhl nennen und umgekehrt, wenn Sie mir gesagt haben, was Sie zum Sitzen und was zum Essen benötigen. Und froh bin ich auch um Ihren philosophischen Exkurs zum Thema Tat: „Jede Tat bringt Neues hervor, (…), aber jede Tat vernichtet auch. Mit jeder Tat vernichten wir die Unendlichkeit der Möglichkeiten.“ Theaterdirektor Buurmann, ich hatte Ihnen den Wallenstein zitiert, den guten Faust – ja, die Gefahr der Tat: ich habe sie nie geleugnet und ist sie dem Täter so warnend wie auf seine implizit kriminelle Energie hin zuzusprechen, muss sie natürlich auch dem Handelnden, aber in einem weit tieferen philosophischen Sinn, zu bedenken gegeben werden.

Verehrter Theaterdirektor Buurmann, ein Deutscher zu sein haben Sie mir dann noch vorgeworfen und ich soll das auch noch in einem typischen Sinn sein. Nun sind Sie aber doch der, der da holterdiepolter hetzt und des Wortes Doppelbedeutung erfüllt, Sie Hetzer! Gut, Sie haben sich bereits an die eigene Nase gefasst und reuig gestanden, dumm gewesen zu sein, ein blöder Hetzer. Aber wie kamen Sie nur darauf, dass ich ein typischer Deutscher sei? Ich habe keine Fahnen durch das deutsche Sommermärchen geschwennkt, ich habe den schwarz-rot-gelben Fahnenschmuck für mein Fenstersims und auch das Fähnchen für das Auto abgelehnt – ich wäre ein ebenso schlechter Fahnenausstatter für das ARD-Fernsehstudio gewesen: ob Rot-Schwarz-Gelb oder Gelb-Schwarz-Rot – das Junge Deutschland vergebe mir, meinetwegen auch das Vaterland in dem ich meine Muttersprache spreche, liegt meine Fahnenaversion doch eher darin begründet, dass der Fahnen(miss)brauch des typisch Deutschen mit der Fußballleidenschaft so hochgradig korreliert! Ich finde auf dem Fußballplatz keine Leidenschaften, nicht in den Rängen und schon gar nicht in Südkurven, ich sehe nur Pöbel und die Verzweifelten, die sich an Poldis und Schweinis Trikotzipfel hängen, weil die Deprivation sie sonst in die Einsamkeit stoßen und vernichten würde – der Fan des prosaischen Fußballs ist eigentlich also der des sprichwörtlichen Strohhalms ...

Aus dem Niederungen der Peinlichkeiten wollten Sie sich mit Ihrer Entschuldigung gegen den Vorwurf, dass ich ein typischer Deutscher sei, und einen Kotau versuchend retten, ich will Ihnen, Theaterdirektor Buurmann, dazu die Hand reichen und will Sie zudem vor einem Harakiri bewahren, weil Sie in sich eine Affinität zum Biedermeier entdeckt haben, Sie also fühlten sich in diesem innenarchitektonischen Ambiente selbstbewusster Bürgerlichkeit aus dem Anfang des 19.Jahrhunderts am wohlsten? Sie fanden das dann (selbstkritisch wie selten) spießig? Sie beziehen sich in Ihrer Selbstkritik, Theaterdirektor Buurmann, also auf die pejorative Bedeutung des Biedermeiers aus den „Fliegenden Blättern“ der 1850er Jahren, auf den „Gedichten des Gottlieb Biedermaier“? Und Sie bekamen aus Rührung über ihr kleinbürgerliches Faibel gar feuchte Augen? Theaterdirektor Buurmann – da sind wir ja wieder bei den Tätern oder der Hetze: Ja, der Biedermann ist in Verruf gekommen und zum Simpel mutiert, zum Einfaltspinsel, in der Zeit aber da dieses bürgerliche Wohndekor aufkam, das später dann erst Biedermeier genannt wurde, war es das revolutionärer Aufbegehren gegen den Adel, dem eine eigene dem aufstrebenden Bürgertum angemessene Wohnkultur entgegengesetzt werden sollte. – Theaterdirektor Buurmann, ich unterstelle Ihnen mal, dass Sie angesichts Ihrer revolutionären Wurzeln feuchte Augen bekommen haben! Pflegen Sie doch dieses nostalgische Gefühl und lassen sie es mit Tränen gewässert wieder aufleben, aber lassen Sie die Tränen nicht den Verlust bedeuten und das Wissen, dass Sie jeden revolutionären Willen verloren haben. Und sind Sie ein Bürger, empfehle ich Ihnen, die Problematik zwischen diesem und dem Künstler bei Thomas Mann nachzulesen – ja, im „Tonio Kröger“ natürlich.

Die Problematik der Tat, um darauf noch einmal zurückzukommen, aber ist ja Ihr Thema in dem bislang beklagten Sand-Stück von den Gehirnen. Und ob da nun Ihr Praeputium vorkommt oder das eines anderen, ob Sie eines haben oder nicht: Theaterdirektor Buurmann, gehen Sie mir mit solchen Marginalien nicht auf das Skrotum – auf die Tat oder den Täter Ihres Stückes aber komme ich gern noch einmal zurück.

Bis dahin dann,
Ihr Ihnen immer hilfreich zur Seite stehender
Kriminalautor Schmiester