Donnerstag, 24. Juli 2008

Kölner Lichter

Ja, ich bin ein literarischer Choleriker,
verehrter Herr Kriminalautor Schmiester,
aber bei den Kölner Lichtern bleibe ich gelassen.

Bevor Sie nun aber ganz an mir verzweifeln, seien Sie sich gewiss, dass ich selbstverständlich gerne mit Ihnen Hand in Hand durch das kommende Jahrhundert gehen möchte und dass auch ich nichts Positives zu den Kölner Lichtern zu sagen habe. Die Kölner Lichter widern mich an, wie jede Massenveranstaltung, bei der der individuelle Mensch zur gaffenden Fleischmasse reduziert wird. Am selben Tag wie die Kölner Lichter füllte Mario Barth in Berlin die Olympiahalle mit 70.000 Menschen, die begeistert und trunken Ihrem Idol zujubelten. Mit diesen 70.000 Menschen brach Mario Barth den Rekord, der vor ihm durch Chris Rock aus den Vereinigten Staaten von Amerika aufgestellt wurde, der etwas weniger als 16.000 Menschen versammeln konnte.

Verwundern tut es mich nicht, dass letztendlich ein Deutscher den Rekord gebrochen hat, denn wenn es etwas gibt, das die Deutschen gut können, dann sich in lachenden Horden zusammenzurotten um gemeinsam mit einem Führer über Andere zu lachen.

Goethe hat es im Faust (Zweiter Teil) mal so schön beschrieben:

„Und auf vorgeschriebnen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur;
Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle – Schafsnatur!“

Das ist wohl auch der Grund, warum das Kabarett in Deutschland so gut funktioniert. Vorne steht der Inquisitor, der gemeinsam mit der Horde arroganter Besserwisser im Publikum ein Feindbild aussucht, um dann genüsslich über eben dieses Feindbild herzuziehen. Was im Kabarett kaum bis selten passiert, ist wahrer Humor, der es wagt über sich selbst zu lachen. Nein, im Deutschen Kabarett wird nicht über sich selbst gelacht, sondern über die Anderen. An aller erster Stelle sind hier als die Anderen die Politiker zu nennen. Nun gut, die meisten Politiker haben den Spot auch verdient, nur vergisst die Horde, die da lacht, nur allzu gerne, dass es als Publikum und Volk im Grunde genommen erster Souverän des Staates ist und somit verantwortlich für die Misere. Aber egal. Verantwortung war gestern. Heute regiert der Spaß! Drum Ihr Damen und Herren des Deutschen Kabaretts: Blast die Narrentrompete auf dass die Deutsche Horde tanzt. Davon geht die Welt nicht unter! Die wird ja noch gebraucht. Ihr dürft sogar wieder über Ausländer Witze machen, vorausgesetzt natürlich, der Ausländer ist Amerikaner.

Natürlich sind die Anderen nie die Terroristen, weil Terroristen waren die Deutschen ja selbst lange Zeit. Als Nazis terrorisierten sie die Welt und die Demokraten im eigenen Land. Schnell entstand eine gute Zusammenarbeit zwischen dem nationalsozialistischem Deutschland und dem islamischen Faschismus. Die Beziehungen zwischen der NSDAP und der Muslimbruderschaft sind ja ohne Probleme nachlesbar. Im Grunde genommen ist der Terrorist für den deutschen Otto-Normal-Bürger nicht der Andere, sondern stets er selbst. Und wenn man dermaleinst erklärt hat, warum die palästinensische Erklärung fordert, alle Juden ins Meer zu treiben und warum den Terroristen eigentlich kein anderer Ausweg blieb, als am 11. September 2001 einen Massenmord zu begehen, dann wird auch der Deutsche endlich ein gutes Gewissen haben und ganz tief in seinem Herzen wissen, dass es doch einen entschuldbaren Grund für die Nazis gab.

Einer erstmal völlig enthemmten Horde kann man schließlich vieles erzählen und bei den Kölner Lichtern, lieber Herr Kriminalautor Schmiester, haben Sie mich ganz auf Ihrer Seite. Was der gaffenden Masse dort an Propaganda um die Ohren gehauen wurde, grenzt an Volksverdummung der übelsten Form. Da wurde ernsthaft und mit einem Unterton des Bedauerns festgestellt:

„Die Zeit der Aufklärung schlug sich auf das Feuerwerk nieder und auch die Königshäuser mussten sparen!“

Ja so ein Mist aber auch. Das ist aber echt blöd von der Aufklärung. Da kommt so einfach mir nichts dir nichts die Aufklärung daher und nimmt dem König die Kohle weg. Unverschämtheit!

An dem Abend gab es in der Lichtershow generell eine ekelhafte Sehnsucht nach Diktatur. So wurde zum Beispiel dem Publikum das kommende Feuerwerk der Diktatur Chinas zu den Olympischen Spielen kritiklos schmackhaft gemacht. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.

Am lustigsten fand ich aber den Moment, als darauf hingewiesen wurde, dass im Europa des 14. Jahrhunderts das Feuerwerk bei Kirche und Machthabern jenseits der militärischen Nutzung als einschüchterndes Kunstmittel beliebt gewesen sei, denn man habe damit so richtig zeigen können, wie gottgegeben kirchliche und königliche Macht aussieht. Da habe ich nur noch ganz leise bei mir gedacht, wer denn wohl der Machthaber dieser Kölner Lichter ist. Aber diese Frage hier zu beantworten ist ein weites Feld, Herr Kriminalautor Schmiester, ein zu weites Feld.

Stattdessen gilt es, noch einmal auf Mario Barth zurückzukommen. Bestimmt wird schon die ein oder der andere gedacht haben, meine Kritik sei unangebracht, denn schließlich lache Mario Barth nicht über die Anderen, sondern stets über sich selbst. Weit gefehlt! Auf den ersten Blick scheint dem so zu sein. Wenn man Mario Barth zuschaut, wie er sich über seine Beziehung im Speziellen und der Beziehung zwischen Mann und Frau im Allgemeinen lustig macht, ist man tatsächlich dazu verführt, zu glauben, da lache jemand über sich selbst. Schaut man jedoch nur ein bisschen genauer hin, wird man sehen, dass der ganze Humor nur auf eine altmodische, ja fast reaktionäre Einteilung der Menschheit in ein überholtes Mann-Frau-Schema funktioniert. Mario Barth kreiert den Mann als das Andere zur Frau und die Frau als das radikal Andere zum Mann. Im Publikum sitzen sie dann, die Menschen, die sich freiwillig zum Anderen machen lassen, nur um so über den wiederum Anderen lachen zu können. Eine wahrhaft dialektische Meisterleistung von Barth. Fast möchte man vermuten, er habe Hegel gelesen, aber eben nur fast.

Barth hat eine schöne neue Welt geschaffen, in der sich jeder zum Anderen für den Anderen machen lässt, nur damit jeder und jede etwas zu lachen hat. Eine moralische Verpflichtung gegenüber den Anderen erfolgt jedoch nicht. Der Andere ist lediglich das Spiegelbild der eigenen Fratzenschneiderein. Fast schon zu komisch, um wahr zu sein.

In diesem Sinne verbleibe ich staunend,
Ihr Theaterdirektor Buurmann.


PS: In meinem Stück habe ich nicht das Skrotum verbal verunstaltet, wie Sie es in Ihrem letzten Brief behauptet haben, sondern das Praeputium; aber von einem Mann, der das Hebräische nicht von dem Arabischen unterscheiden kann, verlange ich nicht, dass er um den Unterschied zwischen dem Hodensack und der Vorhaut weiß. Ich hoffe (und wenn auch nur stellvertretend für Ihre Lebensabschnittsgefährtin), dass Sie in der weiblichen Anatomie besser unterwegs sind.