Donnerstag, 24. Juli 2008

Gehirne am Strand (5)

Und wieder,
Herr Kriminalautor Schmiester,
wieder haben Sie es getan.

Schon Ihre ersten Worte atmen den Geist der Unterstellung und Übertragung. Statt auf meine zugegebenermaßen aggressiv vorgetragenen Argumenten einzugehen, reagieren Sie nicht mit Gegenargumenten, sondern behaupten schlicht, ich hätte versucht, Sie mundtot zu machen.

Statt also zu reagieren, basteln Sie lieber an Ihrer Stellung als das Opfer meiner Aggression. Hier zeigt sich wieder Ihre Nähe zum literarischen Terrorismus. Statt kritisch mit dem Gegner und sich selbst umzugehen, behaupten Sie lieber Ihre Opferstellung. Es lebt sich als Opfer halt viel leichter als als Täter. Es ist eine Art Schutzschild vor Argumenten und vor allem: als Opfer glaubt man immer auf der guten Seite zu sein. Dem ist aber nicht so, mein lieber Herr Kriminalautor. Schon die Nazis wähnten sich als Opfer der Welt. Als Opfer des Versailler Vertrags, als Opfer der Juden, als Opfer des Kapitalismus, schlicht als Opfer vor dem Herrn. Auch heute noch gibt es diese Opfermentalität. Sie wohnt in solch Sätzen wie: „Man wird doch noch stolz sein dürfen, Deutscher zu sein!“ Ganz so, als gäb es irgendwo eine Verschwörung, eine jüdische gar, die es uns verbietet, stolz zu sein.

Es ist der Deutsche selbst, der ein Problem mit sich als Deutscher hat, nicht die Welt. Die Welt hatte Deutschland schnell verziehen, ich möchte gar wagen zu sagen: zu schnell. Im Jahre 1955 trat Deutschland der NATO bei. Das muss man sich mal vorstellen: Zehn Jahre, nachdem Deutschland Millionen von Menschen brutal in Lagern ermordet hatte, wurde es Mitglied in einer Vereinigung zur Verteidigung der westlichen Werte. Vom Judenmörder zum Demokraten in nur zehn Jahren. Wenn das keine Karriere ist. Eine wahrhaft deutsche möchte ich sagen. Wer weiß, wäre Eichmann etwas später geboren worden, hätte er nicht die Judentransporte organisiert, sondern vielleicht für die Wahrung der westlich-liberalen Ordnung gearbeitet. Hier sehen wie die Fratze der reinen Bürokratie, die nicht nach dem Warum sondern nur nach dem Wie fragt. Typisch Deutsch? Fast möchte ich sagen: Ja!

Aber eben nur fast. Adolf Eichmann war schließlich Mitglied der österreichischen NsDAP. Im Falle von Österreich kann man wirklich nur noch mit offenem Mund staunend dastehen. Es ist geradezu beeindruckend, wie es Österreich geschafft hat, seine offensichtliche Mitverantwortung an beiden Weltkriegen zu vertuschen. Österreich hat es unter den Augen der Weltöffentlichkeit hinbekommen, seine eigene Schande in Mozartkugeln zu gießen. Heutzutage tanzt regelmäßig die Unschuld in Form einer singenden Blondine über die Alm und singt: "The hills are alive with the sound of music!" Österreich hat eine wahrhaft hervorragende Imagekampagne zur Abschüttelung der eigenen Schuld kreiert. Österreich ist es sogar gelungen, sich selbst in Übereinstimmung mit der Moskauer Erklärung der Alliierten von 1943 als erstes Opfer der Nationalsozialisten zu positionieren.

Und am Ende waren sie alle nur Opfer. Auch Eichmann. Opfer der Umstände, Opfer der Bürokratie. Opfer einer Befehlskette. Was haben die Nazis nicht alles für Eiertänze in Nürnberg und Jerusalem veranstaltet, um ja nicht verantwortlich zu sein. Viel könnte ich jetzt gegen diese Ausrede vorbringen; aber es reicht schon, hier jene Richter zu zitieren, die Adolf Eichmann am 15. Dezember 1961 verurteilt haben:

"Durch welche Zufälle innerer und äußerer Art Sie auch immer auf den Weg geraten sein mögen, auf dem Sie dann zum Verbrecher wurden - zwischen dem, was Sie tatsächlich getan haben, und dem, was andere möglicherweise unter den gleichen Umständen auch getan hätten, liegt eine nicht überbrückbare Kluft. Uns gehen hier nur Ihre wirklichen Handlungen etwas an, und weder die möglicherweise nichtverbrecherische Natur Ihres Innenlebens und Ihrer Motive noch die möglicherweise verbrecherischen Neigungen Ihrer Umgebung. Sie haben sich, als Sie Ihre Lebensgeschichte erzählten, als einen Pechvogel dargestellt, und in Kenntnis der Bedingungen, unter denen Sie lebten, sind wir bis zu einem gewissen Grad sogar bereit, Ihnen zuzugestehen, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass Sie unter günstigeren Umständen je in diesem oder einem anderen Strafprozess als Angeklagter erschienen wären. Aber auch wenn wir unterstellen, dass es reines Missgeschick war, das aus Ihnen ein willfähriges Werkzeug in der Organisation des Massenmords gemacht hat, so bleibt eben doch die Tatsache bestehen, dass Sie mithalfen, die Politik des Massenmordes auszuführen und also diese Politik aktiv unterstützt haben. Denn wenn Sie sich auf Gehorsam berufen, so möchten wir Ihnen vorhalten, dass die Politik ja nicht in der Kinderstube vor sich geht und dass im politischen Bereich der Erwachsenen das Wort Gehorsam nur ein anderes Wort ist für Zustimmung und Unterstützung."

Besser kann man es nicht formulieren. Außerdem ist es doch recht verwunderlich, dass zwar stets alle Nazis nur Befehle ausgeführt haben wollen, aber nie jemand einen Befehl gegeben haben will. Es ist halt einfacher, ein Opfer zu sein. Viel schwieriger ist es, ein Täter zu sein, denn zur Tat gehört auch immer die Verantwortung zur Tat.

Eine solche Verantwortung zur Tat scheinen Sie, Herr Kriminalautor Schmiester, nicht tragen zu wollen. Und daher mein guter und lieber Freund, verschonen Sie mich mit Entschuldigungen und gehen Sie stattdessen auf meine Argumente ein. Sie werden stets ein wahrer und wichtiger Freund für mich bleiben, selbst wenn uns im argumentativen Boxkampf mal ein Tiefschlag passiert. Uns bleibt immer noch das nächste Rosh HaShana.

Zu Ihrer Abhandlung bezüglich der Theaterkritik möchte ich hier nichts schreiben. Noch nicht. Vielleicht komme ich irgendwann darauf zurück. Jetzt gilt es erst einmal ganz ohne Neid zu bekennen, dass wenn jemand einen so hervorragenden Text wie Sie geschrieben hat, man erst einmal in Ehrfurcht schweigen sollte. Eben dies haben Sie sich mit dem letzten Text zum Thema Theaterkritik verdient: ehrfürchtiges Schweigen.

Für’s erste also:

„Der Rest ist Schweigen.“

Hochachtungsvoll,
Ihr Theaterleiter Buurmann.

PS: Bei "Gehirne am Strand" handelt es sich nicht um mein Erstlingswerk, wie von Ihnen behauptet. Es sei hier nur an "Drinnen" erinnert, das vor einiger Zeit seine Uraufführung feierte.