Freitag, 11. Juli 2008

Gehirne am Strand (2) - Eine Widerrede

Sie sehen,
Herr Kriminalautor Schmiester,
leider nur das, was sie wollen.

Selten habe ich erlebt, dass ein Mensch seine eigenen Ängste und Widersprüche so vehement auf einen anderen Menschen überträgt. Aber so sind sie nun mal die Altlinken, zu denen ich Sie ja wohl zählen darf, da Sie nicht nur links, sondern auch schon etwas älter sind (Die DOORS sind nicht mehr auf Platz 1 der Single-Charts); so sind sie also, die Altlinken: statt vor der eigenen Tür zu kehren, wo immer noch der Muff von tausend Jahren herumliegt, natürlich schön vor die Tür gekehrt, denn da ist es ja dann das Problem der Anderen, werden Sündenböcke gesucht, die dann gerne mal für alles verantwortlich gemacht werden, was so gerade nicht in eigenen Kram passt. Und wenn diese Sündenbocke erst einmal gefunden sind, holt der Altlinke zum ultimativen Befreiungsschlag aus, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen: Er denunziert sein Gegenüber als Nazi.

Verehrter Herr Kriminalautor Schmiester, in einer Welt, in der sogar Ralph Giordano und Henryk M. Broder als Nazis bezeichnet werden, bekommt der Begriff „Nazi“ ja fast schon etwas Adelndes. Deshalb macht sich der Nazi nun an Ihren Argumente, so wir sie so nennen wollen.

Sie sagen ich würde Angst verbreiten, irrationale Angst sogar. Klar, die regelmäßigen Bomben auf Israel sind reine Phantasie. Der 11. September ein Plot der Amerikaner. In Spanien ist auch nie ein Zug gesprengt worden. Und Heathrow hatte niemals eine Terrorwarnung. Wissen Sie, Herr Kriminalautor Schmiester, Sie reden wie Helmut Kohl Anfang der 90er, als Deutschland wieder Pogrome hatte und Asylantenheime brannten. Trotz der Anschläge in Rostock und Hoyerswerda und der dumpf grölenden Meute am Straßenrand, behauptete Helmut Kohl I. ernsthaft, es gäbe kein grundlegendes Problem mit rechter Gewalt in Deutschland. Er ließ sich auf keine Demo, auf keine Beerdigung und auf keine Trauerveranstaltung blicken. Deutschland hatte kein Problem und wer es behauptete schürte die Angst.

Sie klingen zudem wie die Politiker, die behaupteten, dass das Reden von No-Go-Areas für Ausländer während der WM 2006 in Deutschland reine Panikmache gewesen sei. So werden faschistoid motivierte Verbrechen klein geredet und jene verdammt, die es wagen darauf aufmerksam zu machen.

Natürlich sind die Ängste für sie irrational. Was haben Sie auch schon zu befürchten? Sie sitzen ja tatsächlich in Sicherheit. Sie sind kein schwuler Palästinenser, dem der Tod droht. Sie sind keine emanzipierte Frau kurz vor Steinigung. Sie sind kein Jude, der gehasst wird, weil er Jude ist. Sie sind ein guter deutscher Kleinbürger, was komischweise heutzutage gleichbedeutend ist mit Altlinker. Sie haben eine ganz andere Angst, eine Angst die nicht irrational ist. Sie wollen Ihre Sicherheit nicht verlieren, bloß still halten, nicht auffallen, den Finger nicht in die Wunde legen. Von uns wollen die ja nichts. Uns lassen die ja in Ruhe. Und am Ende haben wir von nichts gewusst.

Sagen Sie mal, Herr Kriminalautor Schmiester, haben Sie denn in Ihrer alten linken Zeit nie einen christlichen Linken getroffen? Der hätte Ihnen doch Bonhöfer vorlesen müssen, oder? Nun, da dies wohl nie geschehen ist, möchte ich es hier nachholen:

„Zuerst kamen sie wegen der Kommunisten, aber ich war kein Kommunist, und so habe ich nicht protestiert. Danach kamen sie wegen der Homosexuellen, aber ich war kein Homosexueller, und so habe ich nicht protestiert. Dann kamen sie wegen der Juden, aber ich war kein Jude, und so habe ich nicht protestiert. Danach kamen sie wegen der Katholiken, aber ich war kein Katholik, und so habe ich nicht protestiert. Als sie wegen mir kamen, war keiner mehr da, der hätte protestieren können.“

Solange es die islamischen Fundamentalisten nur auf Moslems abgesehen haben (Moslems sind nun mal die Hauptopfergruppe der islamischen Fundamentalisten), solange sie lediglich die Juden hassen (und dafür gibt es ja immer Gründe, sie haben als Altlinker bestimmt auch ein paar „gute Gründe“ auf Lager), solange sie nur Frauen steinigen (ist ja eh eine andere Kultur, da können wir nicht arrogant daherkommen und sie daran hindern), solange die Bomben nur in den USA, England und Spanien hochgehen (und irgendwas müssen die ja verbrochen haben, so wie die Juden, die sind ja auch nicht ganz unschuldig an ihrem Leid – jaja, wir kennen die Klaviatur), solange der Krieg also der Krieg der Anderen ist, solange nur die Anderen sterben, erklären wir einfach den Frieden ganz privat für uns. Herzlichen Glückwunsch erneut, Herr Kriminalautor Schmiester, Sie haben die Frieden privatisiert, für sich und all die anderen deutschen Gutmenschen. Kein Krieg nirgends war gestern, Ihnen reicht Ihr Vorgarten. Und jeder, der es wagt, darauf hinzuweisen, dass genau diese Haltung zum Gegenteil führen kann, ist ein: BILD-Leser, Nazi, Schäublefan (was darf es denn heute sein?)

Herr Kriminalautor Schmiester, Sie mögen es Ihrer Butze vielleicht nicht merken, aber es ist nicht Frieden. Menschen werden getötet, weil sie das falsche Geschlecht haben, weil sie Juden sind, weil sie den falschen ficken – auch in Deutschland, wie das Thema "Ehren"-Mord beweist. Wir können da nicht einfach sagen, dass es uns nicht betrifft.; obwohl, Sie können es ja ganz gut, wie ich lesen darf. Für sie ist der islamische Terror nämlich keine Gefahr, sondern nur eine Schnappsidee von Schäuble. Chapeau. Da muss man erst mal drauf kommen.

Was soll ich also Ihrer Meinung nach machen? Soll ich die Fresse halten, wie Helmut Kohl einst in den 90ern? Soll ich die reale Gefahr durch den Terrorismus verschweigen, so wie wir fast kollektiv während der WM nicht zum Rassismus in Deutschland sprechen durften, ohne als Vaterlandsverräter beschimpft zu werden?

Herr Kriminalautor Schmiester, hören Sie auf, Nazis zu suchen, wo keine sind. Kommen Sie aus Ihrem Sandkasten der guten alten 70er Jahre heraus und legen Sie die Förmchen weg. Da draußen in der Welt gibt es gerade einen Schlag gegen den Femi- und Humanismus, eine Entwicklung, die ekelhaft ist. Antisemitismus wird zu Antizionismus, Antiamerkanismus ist salonfähig, „Die Protokolle der Weisen von Zion“ heißen jetzt „Israel Lobby“, Frauenrechte müssen von UN-Mitgliedsstaaten nicht geachtet werden, sexistische Comedy ist wieder in. Wir haben ein Problem: Uns ist die Aufklärung wurscht geworden!

Aber Sie sehen das natürlich anders. Sie glauben, ich würde der Fremdenfeindlichkeit Vorschub leisten. Natürlich kritisieren Sie meine Arbeit. Da sind Sie ja wieder mal sicher und müssen nichts befürchten. Kritik an meiner Arbeit ist so leicht wie Kritik an Schäuble, den USA und Israel. Wir werden uns nicht hochjagen oder irgendwelche Menschen gegen Sie fanatisieren. Die Botschaften der Welt sind sicher vor uns. Und Flaggen werde ich auch nicht verbrennen. Da habe ich gar kein Geld für. Um mich und meine Arbeit zu kritisieren, brauchen Sie also keine Chuzpe. Bei mir kommen Sie auch mit Unterstellungen weiter.

Ich habe nämlich nie gesagt, dass alle Mulsime Terroristen sind. In meinem Stück ist lediglich der eine Terrorist, der auftritt, ein Moslem. Ist das unwahrscheinlich? Nein. Ist es Panikmache? Wohl kaum. Sonst dürfte auch kein Theatermacher einen Neonazi mit Glatze zeigen, da das ja die Glatzenträger diskriminieren könnte. Und der Vergewaltiger auf der Bühne darf auch kein Mann mehr sein, sonst käme ja noch jemand auf die Idee alle Männer seien Vergewaltiger. Und Marlene Dietrich war natürlich auch eine Vaterlandsverräterin, da sie im 2. Weltkrieg auf der Seite der Alliierten gestanden hat. Es ist erstaunlich, wie reaktionär ein Altlinker doch sein kann.

Nochmal für Sie, Herr Kriminalautor Schmiester: Fast alle Vergewaltiger sind Männer. Das heißt nicht, dass alle Männer Vergewaltiger sind. Genauso steht es mit dem Terror. Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber erschreckend viele Terroristen sind Muslime. Sogar Alice im Wunderland versteht das. Und noch mal: Die Hauptopfer der Terroristen sind Muslime. Es geht darum, für diese Muslime zu sprechen. Was ist mit diesen Opfern? Sollen wir schweigen, nur weil es die "Anderen" sind? Was ist zudem mit den Muslimen, die sich nicht hochjagen, die ihre Kinder nicht als Schutzschild verwenden? Beleidigen wir diese Muslime nicht, wenn wir ständig nach Gründen suchen, warum jemand Terrorist wird, statt danach zu fragen, warum die große Mehrheit der Muslime keine Terroristen sind? Was ist mit den emanzipierten Muslimen? Sollen wir ihnen in den Rücken fallen, weil wir es einfach spannender finden, die Täter zu analysieren. Wie dreister kann man eigentlich noch auf aufgeklärte Muslime spucken.

Ihr Brief zeugt von einer gewissen Unfähigkeit zu trauern. Statt sich darauf einzulassen, dass sich das Stück „Gehirne am Strand“ überwiegend mit der Opferperspektive beschäftigt, wollen sie Ausgeglichenheit um jeden Preis. Warum muss man immer den Täter verstehen? Was gibt es denn da zu verstehen? Der Terror verbreitet Schrecken. Dieser Schrecken verbreitet sich umso mehr, wie Menschen, wie Sie, es verhindern, dem Schrecken in die Augen zu schauen. Nur wer es wagt, sich den Schrecken zu vergegenwärtigen, kann davor geschützt sein, zum Opfer seiner eigenen Angst zu werden.

Sie unterstellen mir, ich würde sagen, jeder kulturfremde Mensch sei eine Gefahr. Dies stimmt nicht, Sie wollen es so sehen. Haben Sie vielleicht selber Angst vor dem Fremden? Haben Sie sich vielleicht zu sehr mit den Tätern beschäftigt? Zu sehr seine Gefühle analysiert? Ihn zu sehr "verstanden"? Wie wäre es mal mit wahrer Offenheit den Kulturen gegenüber. Jede Kultur birgt humanistische, feministische und demokratische Strukturen. Seien sie offen gegenüber diesen Strukturen, egal in welchen Kulturen sie auftauchen. Seien Sie jedoch auf der Hut vor jenen Menschen, die Sie dann zum Feinde machen werden; es sind nicht wenige. Am Ende sind die Terroristen auch unter uns. Mal zünden sie Asylantenheime an, mal Synagogen, mal das World Trade Center. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Und ich werde nicht müde zu klagen, egal ob der Mörder weiß, schwarz, schwul, lesbisch, Mann, Frau, Jude, Christ, Buddhist oder Moslem ist. Und der aufgeklärte Mensch wird meiner Meinung sein, solange er die Ideale der Aufklärung für wichtiger erachtet als „kulturelle Eigenarten“.

Einen Terroristen in einem Theaterstück einen Palästinenserschal umzuhängen ist genauso legitim, wie einem Soldaten im Irak eine US-Uniform zu geben. Wer das nicht erlaubt, oder gleich glaubt, dahinter stünden böse Absichten, ist ein notorischer, paranoider Besserwisser.

In diesem Sinne verbleibe ich mit den allerbesten Wünschen von Besserwisser zu Besserwisser,
gerd buurmann

PS. Der Terrorist hat übrigens nicht hebräisch gesprochen, wie Sie es in Ihrem Brief behaupten, sondern arabisch. Für Sie wird das allerdings keinen Unterschied machen. Aber an Ihrer Fähigkeit zu differenzieren können seit Ihrem letzten Brief eh Zweifel angemeldet werden. Statt über BILD-Leser zu urteilen, laden Sie einen solchen Leser doch einfach mal zu einem Tee ein. Sie können dann auch ruhig die DOORS spielen.