Montag, 28. Juli 2008

Was ist Theater?

Vom Beginn an war das Theater ein Spiel, das Verwandeln von Texten, ob niedergeschrieben oder nicht, in ein Gewebe von Zitaten, ein Eindringen und in Bewegung bringen, ein Nachsuchen, ja Erschüttern. Theater wird gespielt, noch bevor es geschrieben oder gesprochen wird. Sprechen und Schreiben, die beiden vermeintlichen Kontrahenten, verwoben und doch getrennt, im Theater werden sie zum Ereigniss. Im Theater leistet der Mensch Menschendienst, ebenso, wie der Mensch in der Synagoge, der Kirche oder der Moschee Gottesdienst betreibt.

Der Theatertext - verwaist, adoptiert, gespielt - ist ein Gebäude zum Einbruch errichtet, sowohl ohne Schwanz als auch ohne Kopf, unvernünftig, ohne Bezugszentrum, weil er Spiel ist, weder absurd noch inkohärent noch verrückt. Theater fragt nicht nach dem Sinn, eine interpretatorische Offenbarung wird nicht ersehnt, sondern unterlaufen. Die Herrschaft der Auslegung wird überschritten und die Unbestimmtheit des Theaters, ohne Unterlaß, wieder in ein endloses Spiel getrieben. Der Ursprung des Theaters liegt im Spiel, auch und gerade weil er zeitlich auf das Verfassen folgt. Denn was ist das Verharren in der Erstellung eines Theaterstückes weiter als ein bloßes Festhalten einer Idee? Ein Stück, das nicht zu einem über die Bühne gespanntes Leichentuch verkommen möchte, muß gestaltlos sein und doch formbar, für die Spielenden auf und um den Brettern. Es muß bewohnbar sein - das Spielen kann nur von innen geschehen - darf jedoch nicht versklaven.

Spielen heißt, dass Risiko einzugehen, „Ja“ zu sagen zu einer Absurdität, die spürbar ihren eigenen Regeln gehorcht und immer wieder solchen Sinn hervorbringt, als dessen Kehrseite sich das Theater doch versteht. Wir spielen weiter. Wozu, wovon, wohin? Ruhelos, wird jeder modische Sinn erneut über die Fläche der Plattform zerlegt und zerstreut, um sich nicht in die Grenzen zu legen, in denen das Theater offensichtlich agieren muß. Theater ist eine unaufhörliche Bewegung von Bildern und im Gegensatz zum Bildschirm keine bloße Matrize von Vergangenem, sondern ständig gegenwärtig und originär in seinem Spiel. Selbst das Publikum ist mit dem Theater verstrickt - ein großes Verweissystem. Und doch weiß das Publikum, dass es am Ende der Aufführung wieder hinaus muß in die Welt, um dort in den Spuren des zertrümmerten Sinns einen Weg zu finden.

(Dieser Text entstand im Spiel mit Texten von Jacques Derrida und Sarah Kofman, sowie im Gespräch mit Prof. Claudia Bickmann und Viktoria Burkert von der Universität zu Köln, denen besonderer Dank gilt.)