Montag, 28. Juli 2008

Von Tätern und Opfern - Ein Widerwort

Wenn alle Stricke reißen,
Herr Kriminalautor Schmiester,
flüchten wir in die Hermeneutik.

Gerne möchte ich Ihnen folgen, ein paar Schritte in die Hermeneutik zu wagen, auch wenn ich befürchte, mit Ihrem Tempo nicht Schritt halten zu können. Zügeln Sie Ihre Geschwindigkeit also etwas, Sie werden merken, dass es am Straßenrand manch schöne Blume gibt, an die Sie sonst vorbei hasten. Es entgehen einem so viele schöne Kleinigkeiten, wenn man immer nur ein Ziel vor Augen hat und darüber ganz den Weg vergisst. Ich habe Sie immer für einen Flaneur gehalten, für einen Menschen der schlendert, genießt und schweigt. Leider muss ich feststellen, dass aller romantischen Überhöhung zum Trotz, Sie doch nichts weiter tun als hetzen. (Das Wort „hetzen“ ist an dieser Stelle von mir bewusst ob seiner Mehrdeutigkeit gewählt worden. Interpretatoren aller Länder vereinigt Euch!)

Also, Herr Kriminalautor Schmiester, lassen Sie uns ein wenig durch das Wort „Täter“ flanieren. Es fällt sofort auf, dass Sie dem Wort „Täter“ direkt eine Bedeutung zukommen lassen, die dazu angetan ist, das Wort auf nur einen Aspekt zu reduzieren. Sie behaupten, das Wort korreliere mit einem ungesetzlichen, verbrecherischen Tun. Wie sie dazu kommen, erklären Sie nicht. Stattdessen behaupten Sie im gewohnt selbstherrlichen Brustton der Überzeugung, diese Bedeutung sei in sprachlicher Übereinkunft entstanden, ganz so, als habe es irgendwann ein Treffen zwischen den Sprach-Göttern und den Menschen gegeben, an dem die diese Interpretation für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt wurde. Nun, an diesem denkwürdigen Tag der Entscheidung muss ich wohl nicht am Sinai, sondern am Strand gelegen haben.

Ihre Beschreibung definiert mitnichten das Wort „Täter“, sondern den Begriff „Täter einer Straftat“. Warum Sie das Wort „Täter“ mit einer Straftat assoziieren, könnte ich nun psychoanalytisch erklären, aber solange Sie mir aber kein Therapeutengehalt zahlen, möchte ich mir die Arbeit einer Analyse lieber nicht machen. Stattdessen möchte ich darauf hinweisen, dass Ihre Reduzierung lediglich beweist, dass Sie nicht Willens sind, zu Ihren eigenen Taten zu stehen. Wie alle Menschen, die über die Konsequenzen ihrer Taten hinwegtäuschen möchten, bedienen Sie sich des Wortes „Macher“. Hier zeigt sich Ihre wahre neoliberale Gesinnung.

Mit dem Wort „Macher“ nämlich, Herr Kriminalautor Schmiester, wiegen Sie sich in dem trügerischen Schein, es gäbe Taten, die nur schaffen, aber nicht nichten. So einfach ist aber leider nicht. Jede Tat bringt Neues hervor, da haben Sie Recht, aber jede Tat vernichtet auch. Mit jeder Tat vernichten wir die Unendlichkeit der Möglichkeiten. Statt also zu behaupten, eine Tat sei immer noch schöpferisch, sollten Sie lieber darüber nachdenken, welche Möglichkeiten Ihre Tat für alle Zeit vernichtet. Das ist die Verantwortung zur Tat, die ich meine.

Diese Verantwortung zur Tat geht Ihnen, verehrter Herr Kriminalautor, mal wieder völlig ab. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie aus meiner Opferanalyse ernsthaft herauszulesen glauben, ich würde damit „die rechtlos Hingerichteten, die der brutalen Macht Unterlegenen, die Opfer der Kriege und auch der Gaskammern in Auschwitz“ verunglimpfen. Zu einem solchen Resultat kann nur ein Mensch kommen, der lieber richtet als versteht. Die Rolle des Richters lasse ich Ihnen jedoch gerne angedeihen. Ich werde, um im Bild zu bleiben, dann wohl den Anwalt spielen.

Mit meiner Opferanalyse weise ich auf die Tatsache hin, dass es im Grunde zwei verschiedene Opfertypen gibt. Zunächst sind da jene Menschen, die zu Opfern gemacht werden. Das sind jene Menschen, die eigentlich keine Opfer sein wollen, denen das Selbstbestimmungrecht aber genommen wird. Dann gibt es jene Menschen, die sich selbst zum Opfer machen, um daraus Ihr Handeln zu begründen. Auf eben jenen Opfertypus habe ich mich bezogen, da eben jene Gruppe bereitwillig Opfer ist. Auf die andere Gruppe habe ich mich nicht bezogen, schon allein deswegen nicht, weil ich ihr Selbstbestimmungsrecht achte, denn sie wollen ja eben keine Opfer sein, sondern werden dazu gemacht.

Lassen Sie mich ein historischen Beispiel nehmen. Im Zionismus wohnt die Überzeugung, dass es nicht angehen kann, dass das Judentum ständig zum Opfer gemacht wird. Mit der Verwirklichung eines israelischen Staates haben die Zionistinnen und Zionisten endlich den Fluch der Opferrolle abgeschüttelt. Dass diese Entwicklung zwangsläufig Probleme hervorrufen musste, war von Anfang an klar. Die nicht-jüdische Welt hatte sich halt an Juden und Jüdinnen als Opfer gewöhnt. Solange sie brav den Tod durch ihre Feinde in Kauf nahmen, waren sie ein beliebtes Thema bei den Gutmenschen und ein dankbares Opfer der Antisemiten. Doch von dem Tag an, da sie es wagten, sich zu verteidigen, da Sie es wagten, zur Tat zu schreiten, begann das Lamento. Die Juden und Jüdinnen wurden zu Tätern. Aber natürlich nur zu Tätern in Ihrer Definition von Tat, Herr Kriminalautor Schmiester. Statt nach Gründen für die einzelnen Taten zu suchen, statt zu erkennen, dass gerade in Israel jede Tat der Regierung heiß und kontrovers diskutiert und kritisiert wird, wird hinter jeder Tat der israelischen Bevölkerung direkt eine Straftat vermutet. Die UN kommt ja gar nicht mehr nach mit Resolutionen, die gegen dieses kleine Land verhängt werden. Aber es musste wohl so kommen, denn wer Jahre lang mit dem Bild der Brunnenvergifter und Kindermörder groß geworden ist, kann sich nun mal an eine andere Bedeutung des Wortes „Täter“ in Verbindung mit Juden nicht gewöhnen.

Sie sind in dieser Hinsicht leider auch ein typischer Deutscher, Herr Kriminalautor Schmiester. Sie gehören einer Nation an, die Auschwitz zu verantworten hat, da rutscht das Wort nolens volens in eine negative Ecke. Aber ein Volk, das Wüsten bewohnbar macht und die Idee der Demokratie in eine Welt trägt, wo die Freiheit des Individuums noch nicht geachtet wird, hat selbstverständlicher Weise einen besseren Begriff von „Täter“.

Jetzt, wo ich das Wort „Täter“ erneut und vor allem in Verbindung mit Erez Israel benutzt habe, Ihnen quasi eine Steilvorlage für Beleidigungen und Missverständnisse gegeben habe, können Sie sich erneut entscheiden, ob Sie mich wieder nur richten wollen, oder sich endlich mal ans Verstehen wagen möchten. Ich hoffe, Sie mögen Sich auf das Verstehen konzentrieren.

PS: Den Film „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman haben Sie leider wohl auch nicht ganz verstanden. Denn gerade dieser Film behandelt die Konsequenzen einer ganz besonderen Tat. Im Bewusstsein Ihres nahen Todes hat eine schwerkranke Frau im Einverständnis mit ihrer Schwester beschlossen, das eigene Neugeborene als Kind der gesunden Schwester auszugeben. Diese Tat wird im Film nie direkt angesprochen, sondern immer nur angedeutet. Dennoch zeigt der Film die Grausamkeit dieser Tat in Anbetracht der Tatsache, dass das Kind mittlerweile einige Jahre alt, die leibliche Mutter aber immer noch am Leben ist. In erschütternden Bildern zeigt der Film, wie es sich mit einer solchen Tat leben, oder besser eben nicht leben lässt. Dies ist jedoch nur ein winziger Aspekt des Filmes und Bergman wäre nicht Ingmar, wenn es da nicht noch viel mehr zu sehen gäbe. Dass Ihnen allerdings dieser Aspekt nicht aufgefallen zu sein scheint, kann ich nur mit Ihrem sehr einseitigen Verständnis des Wortes „Täter“ erklären.

PPS: Ob Sie mir ein Praeputium zutrauen ist mir gelinde gesagt schmockegal, aber wiederum haben Sie etwas falsch verstanden, im Stück hat die Figur des Christian ein Praeputium. Mein Penis ist nicht Thema des Stückes - auch wenn es Sie enttäuscht. Wenn Sie jedoch wollen, kann ich ja irgendwann mal ein schönes Stück über mein Geschlechtsteil schreiben. Ein solches Stück werden dann aber nur Sie zu lesen bekommen, quasi als Geschenk für dieses anregende Streitgespräch.

Buurmann,
Theaterdirektor