Montag, 9. März 2009

Sehr geehrte Frau Marcus,

in Ihrem Grußwort als Chefredakteurin zur ersten Ausgabe der Kölner Theaterzeitung akT heben Sie an mit den Worten: „Auf eine angregende, lebendige, diskussionsfreudige Zukunft von akT“.

Diesem Ruf nach einer freudigen Diskussionskultur möchte ich nachkommen, haben Sie doch in Ihrer Kritik zu unserer Inszenierung von Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ den Start zu einer hitzigen Diskussion gelegt.


Ihre Kritik beginnt mit folgenden Worten: „Während Israel den Gaza-Streifen in Schutt und Asche legt, wird im Severins-Burg-Theater einer der beliebtesten Shakespeare-Abende gezeigt.“ Was bitte hat Sie geritten, Ihre Kritik mit diesen Worten zu beginnen? Wäre es zuviel gewesen, folgendes zu schreiben: „Während sich der Gaza-Streifen und Israel im Krieg befinden?“ Ist es Ihnen nicht zuzumuten, eine wenn auch schwere, aber an dieser Stelle doch notwendige Objetivität zu wahren? Sie wissen doch nur zu gut, dass die Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht, nicht nur den Tod Israels fordert, sondern auch das eigene palästinensische Volk, so es wagt, sich kritisch mit sich selbst zu beschäftigen, verfolgt, foltert und ermordert. Bei den Gegener Israels im Gaza-Streifen haben wir es mit einer Clique von Mördern zu tun, die nicht nur jedes tote israelische Kind bejubelt, sondern auch das eigene Volk als Geisel der eigenen Ideologie nimmt.

Sie hätten die Kritik also durchaus auch mit diesen Worten beginnen können: „Während die Hamas jüdische und palästinensiche Menschen zum Wohle ihrer Ideologie mordet, wird im Severins-Burg-Theater einer der beliebtesten Shakespeare-Abende gezeigt.“ Dies haben Sie jedoch nicht getan und stellen sich somit in gefährliche Nähe zu einer terroristischen Vereinigung. Statt also neutral zu sein, positionieren Sie sich und stellen Israel als vernichtendes Etwas dar. Dies sei Ihnen zugestanden, aber mit dem gleichen Recht frage ich, wie Sie zu Ihrer Position kommen.

Es hat mich geradezu beschämt, wie sehr auch Sie mit Ihrer Zeitung das Bild vom Brunnenvergifter und Mörder Israel bemühen? In einer Zeit, in der Juden und Jüdinnen in Europa um ihre Synagogen bannen müssen, da in der ersten Wochen des Jahres 2009 auf Synagogen und Gemeindehäuser in Frankreich, England, Belgien, Schweden und Deutschland Brandanschläge verübt wurden, in einer Zeit, wo Demonstranten, die es wagen, Solidarität mit Israel zu zeigen, mit Eisenstangen (in München) und Rohrbomben (in Malmö) angegriffen werden - alles natürlich entschuldigt mit dem Vorgehen Israels im Gaza-Streifen – in dieser Zeit also zündeln auch Sie.

Während deutsche Polizisten vom tobenden Mob auf der Straße genötigt in private Wohnungen stürmen, um dort eine Israel-Fahne zu entfernen, wie jüngst in Duisburg geschehen, währende Juden und Nicht-Juden in Deutschland gut daran tun, Israel in seiner Existenz nicht zu verteidigen, wenn ihnen ihre Gesundheit lieb ist, während die Kritik an Israel von Einseitigkeiten und mangelnder Emphatie für das Leid der Israelis geprägt ist, formulieren Sie einen Satz, der einseitiger nicht gedacht werden kann.

In Ihrer Kritik gehen Sie scharf ins Gereicht mit dem Journalisten Alex Feuerherdt, der im Umfeld unserer Inszenierung an einem Abend einen Vortrag zu dem Thema „Israelktitk als neuer Antisemitismus“ gehalten hat. Zunächst einmal wage ich es, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie an diesem Abend nicht anwesend waren und somit nicht wissen können, was an diesem Abend diskutiert wurde. Ich finde diese Tatsache recht bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie sehr Sie sich dennoch trauen, ein Urteil über diese Diskussion zu fällen. Sieht so der Journalismus der neuen akT aus? Nun, es sei Ihnen zugestanden, dass Sie wenigstens die Rede Feuerherdts von mir zugesandt bekommen haben, somit also wenigstens einen Teil seines Beitrags gelesen haben, aber alle anderen Stimmen des Abends haben Sie nicht gehört! Sie waren also nicht anwesend, wagen es aber dennoch, dem Severins-Burg-Theater folgende Einstellung zu attestieren:

„In Hendrik M.Broder-Brandmanier behauptet [Feuerherdt], dass Israelkritik grundsätzlich antisemitisch sei. Egal, wie viele Zivilisten im Gaza-Streifen getötet und illegale Siedlungen im Westjordanland errichtet werden.“

Diese Aussage von Ihnen ist schlicht eine infame Lüge, geboren aus einer nicht geleisteten Recherche und somit einer Journalistin nicht würdig. Ich erlaube es mir, Ihnen wenigstens noch den Anstand zu unterstellen, dass Sie wenigstens um Ihre journalistische Fahrlässigkeit wissen.

Das hält Sie jedoch nich davon ab, dem Severins-Burg-Theater zu unterstellen, es würde sich unverbrüchlich für das Recht Israels einsetzen, „brutal zurückzuschlagen.“

Sie zeichnen also nicht nur das Bild eines brutal agierenden Israels, sondern nennen auch das Severins-Burg-Theater brutal. Auch dies sei Ihnen gestattet, denn sie müssen ja nichts befürchten, ausser diesem Brief von mir. Während manch ein selbsternannter Verteidiger der Rechte der Palästinenser in Europa (sic!) Synogogen und Menschen angreift und den Tod Israels fordert, greife ich lediglich auf Worte zurück. Sie müssen also nichts befürchten, wenn Sie mich kritisieren. Darf ich Sie jedoch darauf aufmerksam machen, dass es im umgedrehten Fall ganz anders ist. Wer es wagt, sich kritische gegen die Hamas zu stellen, der muss um seine Gesundheit und sein Leben fürchten. In München wurden erst jüngst Demonstranten mit Eisenstangen angegriffen und die Polizei hatte es sichtlich schwer, diesem Angriff zu begegnen und die Unversehrtheit der Hamas-Gegner zu garantieren. In Dänemark (sic!) wurde jüngst auf zwei Israelis geschossen (Doppel-SIC!).

Darf ich Sie zudem darauf hinweisen, dass ich auf einer US-Amerikanischen Nazi-Seite zu einem Untermenschen degradiert werde, versehen mit der indirekten Aufforderung, daraus die Konsequenzen zu ziehen? Während Ihre Kritk an das Severins-Burg-Theater also lediglich für einen Disput sorgt, der Ihnen maximal ein paar Stunden Zeit der Auseinandersetzung kostet, zahle ich regelmäßig Taxis, da ich mich nachts auf dem Weg vom Theater nach Hause allein in den Kölner Straßen nicht mehr sicher fühle. In diesem Umfeld halten Sie es nun auch noch für nötig, mich zu einem Menschen zu erklären, der die Lanze für die Brutalität bricht.

Allerdings argumentiere weder ich, noch Alex Feuerherdt oder das Severins-Burg-Theater für Brutalität. Wir weisen lediglich darauf hin, dass im allgemeinen Diskurs Israel als brutal abgestempelt wird, während bei anderen Menschen eben diese und vor allem noch extremer Brutalität toleriert wird. Das Severins-Burg-Theater kritisiert lediglich die Doppelmoral, die Gewalt besonders dann zur Kenntnis nimmt, wenn sie von Juden, respektive Israelis ausgeht. Genau das tun Sie ja auch, wenn Sie zwar Israel in Ihrem Artikel als brutal bezeichnen, aber kein Wort über die Gegenseite verlieren.

Dies, Frau Marcus, ist antisemitisch! Es ist antisemitisch, wenn an Israelis eine andere Meßlatte als an alle anderen Ländern angelegt wird. Es ist antisemitisch, wenn man auf Israelis den denkbar schärfsten Blick anlegt, während man bei anderen Ländern und Menschengruppen versöhnlicher ist. Diese „Israelkritik“ ist antisemitisch! Es ist zudem antisemitisch, eine Diskussion, die es wagt, auf diese Doppelmoral hinzuweisen als „Brandmanier“ zu bezeichnen, wissend, dass wahre Brandsätze aus europäische Synagogen und Menschen abgefeuert werden, wie es in den letzten Monaten in Deutschland und seinen Nachbarländern geschehen ist!

Niemals hat das Severins-Burg-Theater oder Alex Feuerherdt sich für Brutalität ausgesprochen, im Gegenteil. Alex Feuerherdt und das Severins-Burg-Theater stellen sich sogar auf die Seite der Palästinenser, indem sie auf die wahre Gefahr der Palästinenser hinweisen, nämlich die Hamas! Die Rede ist dort eindeutig! Die Hamas ist es und mit ihr tausende von Menschen auf deutschen Straßen, die den Tod Israels fordern. Das ist brutal. Nicht unser Theater!

Es ist nicht brutal, wenn man es wagt, darauf hinzuweisen, dass Israel im Diskurs schärfer als alle anderen Ländern der Welt kritisiert wird. In einer geradezu manischen Fixiertheit auf nur 0,1089% der gesamten Weltbevölkerung, denn dies ist der prozentuelle Anteil der Israelis auf der Erde, sieht die UN ein Volk, dem ganz besondere Aufmerksamkeit zu Teil werden muss. Während also 99,9% der Welt mit geradezu christlicher Milde beäugt werden, müssen die restlichen 0,1% den vollen Zorn der Aufklärung auf ihre Schultern laden. Alle Jüdinnen und Juden der Welt zusammengenommen ergeben gerade mal 0,22% der Gesammtbevölkerung. 99,78% der Bevölkerung werden somit von Nicht-Juden gestellt. Dennoch hält sich der wackere Glaube, die Juden und vor allem Israelis seien die größen Probleme für den Weltfrieden. Es ist geradezu amüsant, wieviele Menschen dies glauben. Wenn man nun aber fragt, wie es denn um die Holländer (0,25% der Gesamtbevölkerung), die Deutschen (1,22%), die Chinesen (19,5 %), die Muslime (19,26%) oder die Christen (31,11%), bestellt sei, schauen die meisten Menschen nur ganz verwirrt, ganz so als habe man gerade eine völlig absurde Frage gestellt.

Gerade hier ist eine ganz besondere Form des Antisemitismus zu finden, der Juden solange toleriert, wie sie sich zu Opfern machen lassen. Solange Juden in Ablehnung von Gewalt zu Opfern werden, solange sie wie Lessings „Nathan der Weise“ höchstens ihre Rhetorik als Waffe einsetzen, wenn Ihnen die Worte "Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!" entgegengeschmettert werden, solange sie eben ganz friedlich bleiben, solange sind sie den christlichen Mitmenschen Willkommen. Sobald sie aber beginnen, sich zu wehren, schlägt die angebliche Sympathie in bittere Apathie um.

Der Jude hat verständnisvoll und vor allem vergebend zu sein, um von seiner Umwelt geliebt zu werden. Es ist genau diese Anforderung der christlichen Welt an Juden, die Shakespeares Jude Shylock in „Der Kaufmann von Venedig“ zum Verhängnis wird. In dieser Komödie, die 150 Jahre vor „Nathan der Weise“ verfasst wurde, finden wir einen Juden, der wie alle anderen Figuren ein ganz gewöhnlicher Mensch ist, der sich irgendwann schlicht weigert, die Schmach der Unterdrückung einfach so hinzunehmen. Während sämtliche Christen in dieser Komödie von Shakespeare nicht in der Lage sind, ihre eigenen christlichen Prinzipien zu leben, fordern sie von dem Juden eben diese Verhaltensweise und bestrafen ihn umso heftiger, als sich herausstellt, dass er dem Gebot der Nächstenliebe nicht unbedingt folgen möchte oder kann. Shylock will und kann nicht besser sein als alle anderen Menschen. Er ist kein Übermensch und bringt dies auch mit folgenden Worten auf den Punkt:

Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir's euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muss seine Geduld sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache.

Shylock ist im Gegensatz zu Nathan ein Mensch, mit Gefühlen und Ängsten. Wie jeder Mensch, der bedroht und angegriffen wird, will er sich verteidigen, sein Leben schützen und zur Not auch seine Umwelt in Angst und Schrecken versetzen, so dies die einzige Möglichkeit ist, das eigene Leben zu bewahren.

Burkhard Schmiesters Inszenierung hebt genau auf diese Sache ab. Die Schmach und Gewalt, die Shylock widerfahren ist, schlägt bei Shakespeare in absolute Rache um. Burkhard Schmiester wagt es sogar in seiner Inszenierung, den Teufelskreis zu zeichnen, der durch diese Rache nicht durchbrochen wird. Natürlich ist Shylocks Rache unmenschmlich, aber warum fällt uns die Unmenschlichkeit erst auf, wenn Sie von einem Juden Besitz ergreift? Warum haben wird diese Unmenschlichkeit nicht mit den gleichen Vehemenz bekämpft, als Shylock das Opfer war?

Um diese Frage dreht sich Burkhard Schmiesters Inszenierung und ist somit kein Plädoyer für eine angebliche Niebelungentreue gegenüber Israel, die Sie in dieser Inszenierung mit verzerrtem Blick zu entdecken glauben.

Warum, und diese Frage richtet sich nun an Sie, Frau Marcus, warum schlagen Sie auf Israel und das Severins-Burg-Theater ein, während Sie in Ihrem Artikel sonst schweigen? Stürmend und drängend stelle ich Ihnen diese Frage mit der Bitte um Beantwortung, hoffend, dass Sie sich Ihrer Einseitigkeit bewußt werden, die mich und mein Theater in recht ungerechter Weise in ein schlechtes Licht gerückt hat.

Sie werfen uns fälschlicherweise vor, nicht objektiv zu sein und stellen selbst Ihre eigene mangelnde Objektivität zur Schau.

„Wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“

Mit diesen Worten Shylocks möchte ich meinen Brief beenden.

Mit freundlichen Grüßen,
gerd buurmann